Neun Monate – die Zeit rennt

Die Zeit rennt. Das Kursjahr 2014/2015 neigt sich dem Ende. Zahlreiche Eindrücke.

Mareike stellt fest: nur noch 3 Monate im Freiwilligendienst…

Diesen absolviert sie im Johannes-Hospiz in Münster. Ihre Erfahrungen der bisherigen Zeit hat sie in einem Bericht zusammengefasst. Zeilen die sich lohnen!

In den letzten drei Monaten ist viel passiert und ich weiß mal wieder nicht so recht, wo ich anfangen soll. Diese Berichte zu schreiben, ist sehr wertvoll für mich, weil ich so meine Erlebnisse reflektieren und festhalten kann – und ich kann motiviert in die nächsten drei Monate starten. Diesmal werden es schon die letzten sein und ich kann kaum fassen, wie schnell die Zeit vergeht.

„Wir können dem Leben vielleicht keine Tage mehr hinzufügen, wohl aber den Tagen Leben geben.“ Dieser Grundsatz der Palliativmedizin steht im Zentrum der Arbeit im Hospiz.

Es ist wundervoll, selber den Tagen von einigen Bewohnern mehr Leben zu schenken – durch das Lieblingsessen, ein schönes Gespräch beim Begleiten aufs Zimmer oder durch das einfache neben dem Bett sitzen und da sein. Einer Dame habe ich zum Beispiel ein paar Mal ihr Essen angereicht; einmal – der Löffel ist schon fast an ihrem Mund angekommen – sagt sie laut und deutlich: „Stopp! Wir müssen erst Freundschaft schließen!“ Während ich mich wundere, aber auch sehr freue, lege ich den Löffel aus der Hand, schaue sie an und sage lächelnd: „Das ist eine tolle Idee, sehr gerne!“ Also schließen wir Freundschaft und besiegeln diese mit einem Händeschütteln. Im Hospiz gibt es so viele Momente zu erleben, die einem den Blick aufs Leben verändern.

Manchmal stoße ich natürlich auch an meine Grenzen und beginne zu zweifeln, ob ich richtig und gut auf bestimmte Situationen reagiere. Gerade bei verwirrten Menschen ist das für mich nicht immer leicht. Sie können mich sehr traurig stimmen, aber sie können auch so „niedlich“ sein: Eine Bewohnerin kommt mit Unterhose über der Hose zum Frühstücken oder raucht ganz lungenfreundlich ohne Feuer. Eine andere Frau bestellt bei mir ein Eis – und auf die Frage, welche Sorte sie gerne hätte, antwortet sie: „Das Vanilleeis war mir das letzte Mal zu kalt, ich hätte gerne eine andere Sorte!“

Diesen Tagen gibt man durch Verständnis Leben. Man kann es zumindest versuchen. Ein Patentrezept gibt es (leider?) nicht. Eine Kollegin von mir hat mal am Frühstückstisch gesagt: „Hospizmitarbeiter dürfen Sterben auch doof finden und Angst davor haben, sie erleichtern es nur den anderen.“

Es gibt aber auch Situationen und Gefühle, die kann man nicht verstehen. In meinem Kopf taucht immer wieder die erste Umarmung von mir an eine Angehörige auf. Ich wollte sie damit trösten, doch der Trost kam wahrscheinlich nicht bei ihr an. Diese Frau war Mutter. Sie hat sich zu ihrem toten Sohn ins Bett gelegt, hat niemanden zu sich gelassen. Es war nicht klar, ob der Bestatter ihn mitnehmen darf. Sie sagte, sie will sich umbringen. Sie kann ihren Sohn doch am Leben halten – er lebt in ihrem Herzen weiter. Warum will es dann freiwillig aufhören zu schlagen? Der Schmerz muss so unvorstellbar groß sein. Erleichtern konnten wir es ihr leider nicht. Trauer als ewiger Begleiter und somit als Gewinn, da man den Verstorbenen im Herzen behält – diese Sicht wünsche ich der lieben Frau, die ihren Sohn verlieren musste.

Sterbe- und Trauerbegleitung sind die Themen des Hospizbegleiterkurses, an dem ich seit Ende Februar teilnehme. Die Treffen finden im ambulanten Hospiz in einer kleinen (aber feinen) Gruppe statt. Wir lernen, wie individuell Sterben, Tod und Trauer sind, wie wir zu diesen Themen stehen und wie wir andere Menschen begleiten können. Dort habe ich auch diese positive Sicht auf Trauer gelernt – wir können dankbar für sie sein, auch wenn sie weh tut; sie ändert sich im Laufe der Zeit, verschwindet aber nicht und sie hält unsere Lieben in Erinnerung. Für diese wertvollen Stunden des Lernens und Erfahrens bin ich sehr dankbar!

 

Dann war da noch das bundeszentrale Gruppensprechertreffen in Berlin. Dort durfte ich mich mit einigen anderen Gruppensprechern aus ganz Deutschland austauschen, um unsere Probleme, Ideen und Wünsche in Bezug auf Freiwilligendienste erst zu besprechen und dann einer Bundestagsabgeordneten vorzutragen. Das Gefühl, wirklich etwas ändern zu können, das war toll! Mittlerweile haben wir auch schon eine Rückmeldung in Form eines Positionspapiers bekommen, in dem viele unserer Änderungsvorschläge Platz gefunden haben.

Eine wirklich wundervolle und sehr schöne Zeit hatte ich in Irland, wo in diesem Jahr die Betriebsfahrt hinführte. Ich hatte das große Glück, mitfahren zu dürfen, und es war in jeder Hinsicht toll! Irischen Regen haben wir zwar keinen abbekommen, aber wir haben jede Menge Schafe, grünes Gras, alte Steine und Guinness zu sehen bekommen. Morgens gab’s Porridge und dann sind wir zu unseren Touren im Bulli auf abenteuerlichen Straßen mit Linksverkehr aufgebrochen. Wir waren am Meer und haben in einer atemberaubenden Unterkunft gewohnt. Ein wichtiger Punkt war die Besichtigung des Hospizes in Dublin, wo vieles so anders war als bei uns. Diese Woche hat uns Zeit gegeben, ein Land zu entdecken und sich untereinander noch besser kennen zu lernen. Was für eine Reise!

Vor kurzem war ich dann das erste Mal auf einer von unseren Gedenkfeiern für die Verstorbenen. Viele Angehörige waren da, der Hospizchor hat gesungen und für jeden Verstorbenen wurde eine Kerze angezündet. „Dein Name bleibt“ – in meiner Erinnerung, der von den anderen Mitarbeitern und in der Erinnerung von Bekannten und Freunden. Solche Rituale sind für viele Menschen sehr wichtig, um sich ein Stück weit zu verabschieden. Für mich war es so wertvoll, die Namen noch einmal zu hören und jedem Verstorbenen ein paar Gedanken zu schenken.

Zum Abschluss noch eine erstaunliche Nachricht: In dieser kurzen Zeit von drei Monaten sind zwei von unseren Bewohnern zurück nach Hause gegangen. Sie haben sich erholt beziehungsweise ihr Zustand hat sich zumindest nicht verschlechtert und so konnten/mussten sie nach Hause. Auf der einen Seite ist das super, weil Hospiz ist nun mal nur die zweitbeste Lösung – zu Hause ist es doch am schönsten. Den Wunsch, zu Hause zu Ende zu leben, kann man nur nicht immer erfüllen. Andererseits hat das ja auch seine Gründe – hoffentlich sind die beiden nach wie vor gut versorgt. Ich drücke beiden die Daumen, dass sie noch eine zufriedene Zeit zu Hause haben!

„Schön, dass Sie da sind.“ – Das hat ein Angehöriger zu mir gesagt. Vielen Dank! Ich bin so gerne da! Jetzt nur noch für drei Monate ...

Mareike

PS: Wer auch den Halbzeit-Bericht lesen will, sollte mal diesen Link des Johannes-Hospiz anklicken oder sich auf ihrer Facebook-Seite umschauen:

 

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